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Gedichte die das Leben schrieb |
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© Hansjürgen Katzer 2011
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8.
Günter und ich brachen, nachdem wir uns noch einmal einer Befragung der Polizei unterziehen mussten, gegen zehn Uhr in Deba auf. Die toten Frauen gingen mir noch eine ganze Zeitlang nicht aus dem Kopf. Günter ging es wohl ähnlich und wir sprachen wenig miteinander. Wieder gab es den obligatorischen feinen, spanischen Nieselregen und somit waren wieder die Regenponchos angesagt. Ich in knalligem Rot, er im nicht weniger auffälligem Blau. So stapften wir los, unsere Laune hatte bald ihren Tiefpunkt erreicht. Eigentlich war es ein verlorener Tag, aber wir wollten es zumindestens noch bis Arnorpe schaffen, um so noch ein paar Kilometer und einen neuen Stempel in unseren Pilgerpässen vorweisen zu können.
Die beiden Mädels brauchten Shopping zur geistigen Erholung und hatten es vorgezogen, noch einen Tag in Deba zu bleiben. „Vielleicht sehen wir uns später in Bilbao wieder“, hatte uns Karin – Maria beim Abschied lapidar mitgeteilt. Nun ja, sollten die Grazien ruhig ihren Erholungstag haben. Wir würden ohne die beiden, sowieso viel schneller vorankommen. Mein Handy meldete sich. Eine Textnachricht. Kerstin war endlich in Pamplona angekommen und würde ihre Reise dort abbrechen. Es ging nicht mehr! Zu viel, der Strapazen, geschwollene Fußgelenke und das schlechte Wetter. Ihr Sohn würde sie zusammen mit einem Freund aus der Stierkampfmetropole Nordspaniens abholen. Ich schrieb kurz zurück und wünschte ihr eine gute Heimreise. Was sollte man sonst auch schreiben? Sie hatte es zumindestens versucht und vermutlich ihr Bestes gegeben. Gut, dass sie zumindestens so einen tollen Sohn hatte! Mich würde sicherlich niemand aus Spanien abholen, da war ich mir ziemlich sicher. Wirkliche Freunde hatte ich keine, vielleicht ein paar nette Bekannte, die ganz angenehme Zeitgenossen waren. Nun ja und die Familie? Nein, mit denen war im Notfall wahrscheinlich auch nicht zu rechnen. Mit meinem Bruder hatte ich kaum noch Kontakt, obwohl er ganz in meiner Nähe wohnte und mit einer, meiner beiden Schwestern, verstand ich mich auch nicht sonderlich gut. Mit traurigen Gedanken ging es nun über matschige Waldwege und ausgetretene Geröllpisten weiter unserem Tagesziel entgegen.
Die Berge sahen heute oft richtig mystisch aus. Nebelfahnen stiegen langsam zwischen Bäumen auf und den ganzen Tag gab es keine Sonne. Das Wetter wurde die ganze Zeit über nicht besser und ich erlebte zum ersten Mal auf dem Küstenweg, wie es ist, fast den ganzen Tag im Regen zu gehen. Teilweise wurde dieser Regen richtig heftig. Gegen Mittag fanden wir einen windschiefen Unterstand machten eine kleine Brotzeit und tranken je eine Dose Bier. Der Weg wurde irgendwann extrem schlammig und meine Halbschuhe stecken des öfteren im Morast fest und das war wirklich äußerst unangenehm. Irgendwann rutschte ich zu allem Überfluss auch noch auf einem Stein aus, zerriss mir dabei meine Hose und schlug mir das Knie blutig. Ich fluchte wie ein Rohrspatz, doch Günter zuckte nur mit den Schultern. „Was kannste machen? Nix! Also nimm es, wie es kommt!“ Die Sprüche des Sachsen nervten manchmal, aber jetzt hatte er recht. Deshalb dackelte ich weiter tapfer hinter ihm her, immer die Wanderstöcke in Takt, vergaß bald den Schmerz und meine Tränen fielen im Regen ohnehin nicht auf.
Als wir an der Herberge in Arnope ankamen waren wir beide froh. In dem umgebauten Stall konnte man es gut aushalten, obwohl es in den Räumlichkeiten etwas dunkel war. Arnope kann man aus vollem Herzen weiterempfehlen: Unterkunft, Sanitäranlagen und Abendessen waren ausgezeichnet, das Frühstück und die Preise um Wein und Kaffee eher dem absoluten Monopol hier oben in der Einsamkeit geschuldet. Das Herbergspärchen zeigte sich mehr als bemüht, uns den Tag möglichst angenehm zu gestalten. Gottlob, gab es sogar eine Waschmaschine und so wurde der Nachmittag mit großer Wäsche verbracht. Nach und nach kamen weitere Plgergäste und fanden in der Albergue Einlass. Eine vierköpfige, männliche, französische Pilgergruppe gab sich die Ehre, zwei junge Australier, die sich als Bruder und Schwester entpuppten fanden ebenfalls bald ihren Bettplatz. Eine lustige, etwas abgedrehte Niederländerin in den Vierzigern, mit dem wunderschönen Namen Akelei und Johanna, die betagte, aber durchtrainierte Schweizerin, die uns schon in Orio begegnet wa, kehrten gegen Abend auch noch ein.
An der kleinen Bar der Herberge tranken wir alten Cognac aus großen Schwenkern und auch der Rotwein dazu mundete verzüglich. Man hatte für uns sogar den Kamin entfacht, der uns bald eine wohlige Wärme bot. Meine Schuhe hatte ich unter einem Wasserhahn gereinigt und sie nun mit reichlich Zeitungspapier ausgestopft, damit sie bis zum Morgen, möglichst wieder trocken wurden. Nun standen sie in der Nähe des Kamins und dampften bald vor sich hin. Nun hatte ich auch die Muße gefunden meine Wunden zu versorgen. Die Blase, die ich mir auf dem Weg von Orio nach Zumaia gelaufen hatte, war unter dem großen Compeed – Blasenpflaster schon deutlich kleiner geworden und auch mein aufgeschlagenes Knie, fühlte sich nach durchgeführter Desinfektion und ein wenig Heilsalbe, die ich von Johanna bekommen hatte, deutlich besser an. Ich bestellte mir noch ein Glas Rotwein und stieß mit Günther an. „Nie soll es uns schlechter gehen, als wie heute“, sagte der trocken und stand dann bald auf um eine halbe Stunde lang mit seiner Tochter zu telefonieren.
Das Pilgermenue war köstlich und vermutlich das Beste, das wir auf dem gesamten Weg bekommen sollten. Nach dem ersten Gang, einer delikaten Hühnerbrühe mit erstaunlich viel Einlage, wurden uns Hähnchenschenkel und geschmorrte Kartoffeln serviert. Dazu gab es eine deftige Sauce. Die Franzosen langten ordentlich zu und tranken auch reichlich Wein. Johanna nahm mit dem Wasser vorlieb, sie wollte bald schlafen gehen, da ihr der Weg heute doch eine Menge abverlangt hatte. Günter hatte sich unterdessen ein wenig mit Akelei der Holländerin angefreundet. Die war Marktfrau im Zwolle und jedes jahr mindestens vier Wochen auf Schusters Rappen unterwegs, wie sie uns mit ihrer amüsanten, melodischen Stimme wissen ließ.
Ein doch noch schöner Tag ging bald zu Ende, obwohl die anschließende Nacht wieder eine Nacht des Grauens wurde. Denn sowohl Günter, als auch mindestens zwei der Franzosen schnarchten in dieser Nacht so laut, das ich lange wachliegend, doch im verstärken Maße Mordphantasien entwickelte um vielleicht so zur verdienten Nachtruhe zu kommen.
Am nächsten Tag sollte unser Camino bis Zenaruzza führen. Dort gab es ein altes Kloster, wo man übernachten konnte. Schon gegen halb acht waren Günter und ich unterwegs, Johanna begleitete uns an diesem Morgen, der hell und trocken war. Die Stecke hatte es wieder in sich, führte durch ausgedehnte Wälder und über Berg und Tal. Es waren etliche hundert Höhenmeter zu überwinden. Die Kirche in Olatz, die wir gern besichtigt hätten, war leider geschlossen. Wir machten gegen zehn Uhr eine ausgedehnte Brotzeit an einem heruntergekommenen, umbewohnten Bauernhof und schritten dann mit andauerndem Schritt weiter, bis wir gegen Mittag Markina-Xemein erreichten.
Die Kleinstadt Markina-Xemein die gegen Mitte des vierzehnten Jahrhunderts gegründet wurde, ist das Resultat der Verschmelzung zwischen Markina und dem einst eigenständigen Xemein und der Abtrennung im Jahre 2005 der Dörfer Zenarruza und La Puebla de Boilbar. Die sehenswerte, idyllische Innenstadt erhält noch immer seine mittelalterlich Struktur und besteht im Eigentlichen aus drei parallelen Straßen und einer Querstraße. Die Altstadt beherbergt einige interessante Denkmäler wie z.B. das Kloster und die Iglesia del Carmen. An ihrer Vorderseite findet man eine Statue der Jungfrau und das Wappen des Ordens der sogenannten Carmelitana. Unter anderen sind die Herrenhäuser Sortaleku (das heutige Rathaus), Andonegi und Ansotegi, der Turm Antxia und das ehemalige Rathausgebäude ein Bestandteil des so ausgiebigen, historischen Erbes dieser knapp fünftausend Einwohner starken Gemeinde.
Desgleichen lassen auch außerhalb der Innenstadt Denkmäler finden, die sich lohnen, besucht zu werden, wie zum Beispiel die Pfarrkirche Santa María de la Asunción von Xemein die heutzutage unter Denkmalschutz steht sowie die Kapelle San Miguel von Arretxinaga, einem überraschenden, sechseckigen Bau dessen Altar aus drei großen Felsblöcken geschaffen wurde und in dem ich einige wunderbare Fotos machte.
Markin-Xemein ist aber vorallem auch berühmt für seine tiefgreifende Verbindung mit dem baskischen Nationalsport La Pelota. Beim Pelota schlagen zwei Spieler beziehungsweise zwei Zweierteams abwechselnd einen Ball gegen eine Wand. Das Spielfeld wird Frontón genannt und ist zwischen dreißig und fünfzig Meter lang und etwa zehn Meter breit. Pelotaspieler werden auch als Pelotari bezeichnet. Caminowandern bildet und macht oft ein wenig schlauer. Aber nach unserer ausgedehnten Besichtigungstour war erst einmal ein reichhaltiges Mittagessen angesagt und natürlich das oligatorische Bierchen, das uns den Mineralhaushalt wieder auffüllen sollte. Johanna hatte sich uns nicht angeschlossen, sie wollte lieber langsam weitergehen und im Kloster von Zenaruzza auf uns warten.
Das zum nationalen Denkmal des Baskenlandes erklärte Kloster Zenarruza, eine alte Stiftskirche, befindet sich am Fuße des Berges Monte Oiz, nur wenige Kilometer von der in Vizcaya gelegenen Ortschaft Bolibar entfernt. Es gilt als einer der großen Schätze des Landes. Im Mittelalter und insbesondere während der Renaissance war es eine wichtige Enklave des an der Küste verlaufenden Jakobswegs.
Wir erreichten Zenarruza über die Reste einer mit Steinen gepflasterten Straße, die einst von den Jakobspilgern genutzt wurde. Der klösterliche Anlagen-Komplex umfasst eine Kirche aus dem fünfzehnten Jahrhundert im Stil der Gotik und der Frührenaissance, einen herrlichen Kreuzgang, der aus der Mitte des sechzehnten Jahrhundert stammt und mehrere Nebengebäude der Klausur und des gemeinschaftlichen Lebens wie die Häuser des Abtes, der Pächter und das Refektorium.
Früher war ein auch Krankenhaus für die Pilger vorhanden, das jedoch bei einem Brand zerstört wurde. Nach seiner erfolgten Sanierung, dient es nun seit zweitausendundacht als etwas spartanische Herberge. Bleibt hervorzuheben, dass die Mönche des Klosters in der Klosterkonditorei arbeiten und innerhalb des Komplexes auch ein Geschäft innehaben, in dem man ihre Erzeugnisse erwerben kann. Vor allen das traditionsgebraute Bier mit einem Alkoholgehalt von bis zu neun Prozent wusste sehr zu überzeugen.
Als wir am Kloster eintrafen, warteten zu unserem Erstaunen die beiden Grazien auf uns. Roswitha und Karin-Maria begrüßten uns freudig. Sie hatten doch nicht in Deba, die Nacht verbracht, sondern waren mit dem Taxi bis nach Markina-Xemein gefahren und hatten sich dort eine neue Unterkunft gesucht. Von dieser Herberge aus waren sie am frühen Vormittag losgewandert und hatten hier im Kloster in Zenaruzza schon ihr Nachtquartier bezogen. Es gab noch ein paar Betten und auch Johanna trafen wir hier wieder, die in ein Buch vertieft in der Sonne saß. Der oligatorische Pilgeralltag begann wieder. Formalitäten wurden erledigt, der Reisepaß oder Personalausweis und der traditionelle Pilgerpaß mussten vorgelegt werden, dann gab es den obligatorischen Pilgerstempel in eben jenen Pilgerpaß. Man bekam sein Bett zugewiesen, dann wurde es Zeit zu duschen, Wäsche musste gewaschen, werden, die Wäsche wurde zum trocknen aufhängt, dann ein kühles Bier trinken und sich um etwas Essbares kümmern.
Für neunzehn Uhr hatte uns, die müde Pilgerschar, einer der Mönche zur Pilgermesse eingeladen. Eine Einladung, der wir gerne folgten! Zenaruzza ist seit neunzehnhundertsechsundneunzig ein Trappistenkloster. Die Trappisten führen ein tiefsinniges Leben mit strenger Klausur. In der Regel nehmen sie außerhalb des Ordens keine Seelsorgeaufgaben wahr. Charakteristisch für die Trappisten war lange Zeit eine strenge Askese, vor allem in Form von Schweigen und Buße. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden diese asketischen Regeln jedoch vielfach abgemildert. Traditionell bestimmen aber weiterhin Gebet, Lesung und körperliche Arbeit den Tagesrhythmus der Mönche. Siebenmal am Tag versammeln sich die Brüder zum Stundengebet in der Klosterkirche oder im Oratorium.
Die Messe war ergreifend. Vor allen die Choralgesänge rührten mich zu Tränen. Gegen zwanzig Uhr versammelten wir Pilger uns in der Herberge an einem langen Tisch und eine große Suppenschüssel wurde aufgetragen. Dazu wurde Brot und Wein gereicht. Die Mönche hatten für uns gekocht und wir ließen es uns nicht nehmen, das Dargebotene mit gutem Appetit zu verspeisen.
copyright by Hansjürgen Katzer, 2018
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